Monday, January 14, 2008

Demokratie mit Skepsis

Es gibt in Russland die verbreitete These, dass Russen nach demokratischen Wertvorstellungen nicht "erziehbar" sind. Viele sprechen sogar von der "Renaissance des Traditionalismus"- einem Weg der Selbstfindung, der unabhängig ist von dem, was der Westen vorlebt und vorschreibt. Diese Meinung wird von der Regierung und vielen regierungsnahen Ideologen stark unterstützt. Sogar ein neuer Begriff macht die Runde: "Souveräne Demokratie". Also eine "Demokratie" mit einem souveränen Staat. Nach dem Motto: zuerst der souveräne Staat und dann, wenn noch etwas Raum bleibt, ein bißchen Demokratie. Und solange die Mächtigen souverän sind, muss die Demokratie eben warten. Das ist aber für die Russen kein Problem, die Mächtigen in der Sowjetunion haben den Alliierten schon damals die demokratische Flagge vor die Nase gehalten, aber daheim die Menschenrechte ignoriert. Also wieder nichts Neues... .

Und dennoch: Laut der Meinung des Abteilungsleiters für "Analyse des Massenbewusstseins" im Institut für Soziologie RAN Wladimir Petuhow, haben Befragungen ergeben, dass Russen den demokratischen Werten wie Meinungsfreiheit, Bewegungsfreiheit, Wahlfreiheit, Unternehmensfreiheit, gegenüber positiv eingestellt sind, jedoch die russische Version der Umsetzung dieser Werte, wie sie nach der Perestroika stattfand, ablehnen. Die Idee der Demokratie finden Russen gut, ihre Umsetzung in Russland sehen sie aber mit grosser Skepsis. Daher ist das Vertrauen der Menschen in demokratische Institutionen (Parlament, Parteien, Gerichte), die, nach gängiger Meinung, dem Allgemeinwohl dienen und den harten Kapitalismus zugunsten sozialer Gerechtigkeit abfedern sollen, sehr gering- geringer als in staatliche Institutionen der Regierung.

43% der Bevölkerung ist laut Befragungen des Instituts der Meinung, dass Russland heute genauso weit von der Demokratie entfernt ist, wie zu Zeiten der Sowjetunion!

Das geringe Vertrauen in demokratische Institutionen beeinflusst auch das Interesse der Russen an den Wahlen. Zwar konnte man während der letzten Parlamentswahlen im Dezember hohe Wahlbeteiligung beobachten, laut Petuhow hatte sie aber eher damit zu tun, dass 70% der Russen in den Wahlen lediglich ein wichtiges Instrument für die Legitimation der Regierung sehen. Mit anderen Worten: der Russe geht wählen, weil er sich daran gewöhnt hat und weil er die Wahl als ein "bürgerliches Muss" betrachtet. Und nur ein Viertel der Befragten gehen wählen, um eine bestimmte Partei oder einen bestimmten Kandidaten zu unterstützen.

Das Leben und die Politik existieren im russischen Bewusstsein als zwei getrennte Sachen. Laut Petuhow stellt heute die Unterhaltungsindustrie eine ernst zu nehmende Konkurrenz für die Politik dar. Die Aufmerksamkeit der Bevölkerung wird stark abgelenkt. Deswegen verschwinden oft die Grenzen zwischen Politik und Showbusiness und Politiker werden zu Unterhaltungsmenschen, die gezielt eine bestimmte Zielgruppe ansprechen.

Allgemein lassen sich zwei grosse Menschengruppen feststellen: Zum einen gibt es die Traditionalisten - also Menschen, die im Vater Staat den Aufpasser sehen und an ihn appellieren, wenn es um Lösungen von Problemen geht. Nach ihrer Meinung soll der Staat alles regeln. Ihre Identität hängt unmittelbar mit der Identität des Staates zusammen. Zum anderen ist eine Generation von Menschen entstanden, die selbst aktiv sind und vom Staat nur die Schaffung von geeigneten Rahmenbedingungen erwarten, ihn aber möglichst passiv sehen wollen. Es sind Menschen, die sich an individuellen Zielen orientieren und für die Selbstverwirklichung einen grossen Wert hat. Sie brauchen keinen Schutz vom Vater Staat, jedoch faire Regeln und die Möglichkeit zu arbeiten und Geld zu verdienen.

Laut Petuhow ist die neu entstehende Mittelschicht stark konformistisch eingestellt, mit politischer Apathie und moralischen Relativismus, sowie der Überzeugung, dass Moral und Erfolg im modernen Russland zwei miteinander nicht vereinbare Sachen sind.

Vor diesem Hintergrund wird uns klar, warum es die Opposition in Russland sehr schwer hat. Ihr wichtigstes Ziel ist es, Vertrauen der Menschen zu gewinnen. Vertrauen, welches in den letzten 17 Jahren scheinbar größtenteils verloren gegangen ist.

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