Friday, January 25, 2008

Fall Aleksanjan: Erniedrigt, entwürdigt und langsam getötet

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Eine schreckliche Geschichte spielt sich im Augenblick um den ehemaligen Anwalt von Mikhail Khodorkovsky, Vasilij Aleksanjan ab. Nach dem er im April 2006 im Zuge eines der Yukos Verfahren verhaftet wurde, sitzt er in Untersuchungshaft. Dabei ist erst jetzt öffentlich geworden, dass schon seit längerem bekannt ist, dass er an HIV erkrankt ist und die Krankheit schon weit fortgeschritten ist. Es ist auch seit über einem Jahr bekannt, dass er fast vollständig erblindet ist. Nach russischem Gesetz müsste er allein aufgrund der Blindheit frei sein, ganz zu schweigen von HIV. Aber anstatt ihn rauszulassen wird er in völlig verwahrlosten Bedingungen gehalten. So ist er seit seiner Verhaftung an vielen weiteren schweren Krankheiten erkrankt, darunter Tuberkulose, Entzündung der Leber und weitere. Diese lehrreiche Geschichte möchte ich hier aber näher beleuchten.

Vasilij Aleksanjan, der früher als Anwalt von Khodorkovsky verteidigt hatte, übernahm am 30. März 2006 den Posten des Vizepräsidenten von Yukos und wurde nur 6 Tage danach verhaftet. Drei Monate später wurde gegen ihn die Anklage erhoben, gemeinsam mit anderen Angehörigen der Gesellschaft "Tomskneft" sich das Eigentum dieser und einige Aktienpakete illegal angeeignet zu haben. Das Zentrum der medizinischen Rehabilitation der Föderalen JVA hat am 20. Juni 2006 festgestellt, dass Aleksanjan nach seiner Verhaftung auf einem Auge vollständig erblindet ist und auf die Sehstärke auf dem Anderen 0,01% beträgt. Nach russischen Gesetzen muss in diesem Fall die Untersuchungshaft in eine andere Form der Verwahrung umgewandelt werden. Aleksanjan blieb im Gefängnis.

Als im September 2006 von den Ärzten die Diagnose HIV positiv gestellt wurde, gab es nach russischem Gesetz nur zwei Möglichkeiten (ohne Berücksichtigung seiner Blindheit): Entweder Aleksanjan bleibt in Untersuchungshaft, die Bedingungen müssen aber so angepasst werden, so dass eine starke Antiretrovirustherapie durchgeführt werden kann, oder er geht für diese in ein Krankenhaus. Es wurde keine Therapie durchgeführt, die Bedingungen wurden nicht verbessert. Das Ergebnis ist, dass laut seiner Anwältin, Elena Lvova, die Konzentration der Immunzellen von 17% im September 2006 auf 4% im Oktober 2007 der Normalkonzentration gesunken ist. Durch die maroden Zustände im Gefängnis und die fehlende Immunität erkankte Aleksajan an vielen Krankheiten.

Aleksanjan hat wohl damals seine HIV Erkrankung nicht öffentlich machen wollen. Er befürchtete üble Nachrede und Zweifel an seiner "Moral". Er hatte offensichtlich noch die Hoffnung aus dem Gefängnis raus zu kommen. Nun ist ihm der Staatsanwalt, Vladimir Khomutovsky, zuvor gekommen und hat seine Krankheit ohne Einwilligung des Angeklagten öffentlich gemacht. Aber diese Erniedrigung ist offensichtlich weder die erste noch die letzte die Aleksanjan erleiden musste.

Wegen der fehlenden medizinischen Versorgung ihres Mandanten haben die Anwälte Aleksanjans das Europäische Gerichtshof für Menschenrechte(EPM) eingeschaltet. Dieses hat zum ersten mal am 27. November 2007 erlassen, den Häftling in eine stationäre Behandlung zu entlassen. Am 6. Dezember gab es einen zweiten Erklärung des Gerichts, dass der Angeklagte bis zum 10. Dezember in Behandlung entlassen werden muss. Als auch die zweite Forderung ignoriert wurde, hat das EPM am 21. Dezember zum dritten mal die medizinische Behandlung des Angeklagten gefordert und damit gedroht, im Falle einer Verschlechterung seines Zustandes oder seines Todes den Bruch der Artikel 2("Das Recht auf Leben") und des Artikel 3("Verbot von Folter") festzustellen. Selbst die dritte Forderung wurde bisher ignoriert.

Ich will mich nicht weiter in die Einzelheiten der juristischen Verfahren dieses Falls begeben. Unabhängig von der Schuld Aleksanjans an dem eigentlich vorgeworfenem Verbrechen, sind die Fakten zu seiner UHaft absolut offensichtlich. Wer zweifelt kann einen kurzen Teil des Auftritts von Aleksanjan vor dem Gericht am Ende dieses Posts ansehen.

Die menschliche Grausamkeiten dieses Falls ist aber fast unermesslich und sollten nicht verschwiegen werden. So transportierten die Behörden, die seit über einem Jahr von der Erkrankung des Häftlings wissen, Aleksanjan zusammen mit anderen an Infektionskrankheiten kranken Häftlingen. Er bekommt nicht einmal regelmäßig Besuch von seinem Arzt.

Aleksajan berichtet selbst, dass bei seinen Vernehmungen er vom Staatsanwalt erpresst worden sei. Es sei ihm angeboten worden, gegen die Unterschrift von belastenden Material gegen Lebedev und Khodorkovsky in die stationäre Behandlung entlassen zu werden. Es sei ihm selbst der komplizierte Mechanismus erklärt worden, wie dies von statten gehen sollte usw. Er habe aber abgelehnt. Er könne als halbtoter Mann nicht sein Leben so gegen das Leben von einigen anderen eintauschen. Im Moment läuft nömlich ein weiteres Verfahren gegen Khodorkovsky und Lebedev, bei den die beiden zu einer weiteren Strafe von bis zu 23 Jahren verurteilt werden könnten, an.

Diese Methoden der Staatsanwaltschaft und Ermittler kennen wir. Jeder der schon mal in der DDR oder in anderen Staaten des Ostblocks mit den Beamten der Staatssicherheit in Berührung gekommen ist, kennt diese Praktiken. Wer will ist eingeladen in eins der ehemaligen Stasigefängnisse (z.B. Hohenschönhausen in Berlin) zu gehen, dort wird die Führung von ehemaligen Insassen durchgeführt. Oder glauben Sie Aleksajan lügt, wozu?

Ich glaube einem Mann, der nach dem offiziellen medizinischen Gutachten des regierungsfinanzierten Gefängnis Krankenhauses todkrank ist und ungeheuere Schmerzen erleiden muss. Auch zeigt für mich gerade die Tatsache, dass Aleksajan Mikhail Khodorkovsky nicht verkauft, nicht anschwärzt, dass Yukos tatsächlich ein für russische Verhältnisse sehr sauberer Verein war, in dem ehrliche Menschen gearbeitet haben müssen. Ein Mensch der so kurz vor dem Tod steht, braucht nicht zu lügen.

Ich hoffe nur, dass die Menschen die ihre Hände im Aleksanjans Bluts waschen, dafür irgendwann gerade stehen müssen.



Benutzte Quellen:
Seite von Mikhail Khodorkovsky
Izbrannoe.ru
Menschenrechtsorganisation HRO

Weitere Links zum Thema:

Robert Amsterdam

Saturday, January 19, 2008

Ein respektierter Mörder

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Am 2. Juli 2002 fand über den Bodensee eine sehr schwere Flugzeugkatastrophe statt, bei der 71 Menschen den Tod fanden. Dieser Vorfall hatte damals einen sehr starkes Medienecho hervorgerufen. Vitalij Kaloev, der bei diesem Vorfall seine beiden Kinder und die Ehefrau verloren hat, ermordete 2005 den vermeintlich für das Unglück verantwortlichen Fluglotsen Peter Nielsen und wurde dafür am 26. Oktober 2005 zu 8 Jahren Haft verurteilt. Nach einer Revision seiner Haftlänge auf 5 Jahre im Juli 2007, ist er jetzt nach dem Verbüßen der Hälfte der Strafe freigekommen und wurde sofort zum Stellvertreter des Ministers für Bau und Architektur der kaukasischen Teilrepublik Nordossetien ernannt. Warum?

Nun, Kaloev ist sehr beliebt in seiner Heimatrepublik. Wie "Echo Moskvy" berichtet wurde er in Nordossetien sogar zum Mann des Jahres 2007 gekürt. Der gelernte Architekt sei in seiner Heimat populärer als der Europa- und Weltmeister im Ringen Georgy Ketoev.

Nordossetien ist eine Kaukasusrepublik an der Grenze mit Georgien. Hier ist die Gesellschaft anders organisiert als im westlich orientierten Moskau oder St. Petersburg. Hier regieren die Familienclans und es gelten andere Gesetze. Blutrache ist keine Seltenheit. Es ist der "Osten".

Das gemeine Volk hat ein einfaches Bild vom Vorfall: Die Kinder haben eine Reise nach Westen gewonnen und kamen nicht zurück. Für ihren Tod muss jemand verantwortlich sein. Und unsere Medien haben ihnen Peter Nielsen geliefert. Man hat in Nordossetien kaum Verständnis für die totale Überforderung der Fluglotsen bei Ihrer Arbeit. Und deshalb gilt Kaloev hier als ein sehr ehrenhafter Mensch, der den Mord an seiner Familie und den anderen Flugzeuginsassen gerächt hat.

Es bleibt unklar, ob Kaloev selbst Blutrache üben wollte. Seinen eigenen Angaben zufolge, sei er 3 Jahre nach dem Unglück in die Schweiz zu fahren, um nach einer Entschuldigung von der Firma "SkyGuide" für das ihm zugefügte Leid zu verlangen. Als er dann zum Haus des Fluglotsen gegangen sei um ihm die Fotos seiner Kinder vorzuhalten, habe dieser seine Hand abgeschlagen, so dass die Fotos runtergefallen seien. Daraufhin hätte er das Gefühl gehabt, dass seine Kinder sich noch einmal "im Grabe umdrehen würden".

Friday, January 18, 2008

Vorabend der Taufe Christi in Russland

Heute ist für die Orthodoxen Christen der Russischen Kirche der Vorabend der Taufe Christi.

An diesem Tag ist es Tradition, baden zu gehen. Das Wasser ist natürlich sehr frisch. Aber es wird gemunkelt, dass es die Gesundheit fördert und den Kreislauf anregt, eine kleine Runde zu schwimmen.

Der zeitliche Unterschied zu den anderen Konfessionen ergibt sich durch die sehr lange Nutzung des Julianischen Kalenders früher. Die westlichen Kirchen sind etwas schneller auf fortschrittlichere Kalender umgestiegen. Mehr dazu hier .

Wednesday, January 16, 2008

Putin-Langstrumpf

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Ein Lustiges Video gesehen bei Remco's Rusland . Bei allem Lachen verläßt einen nicht das mulmige Gefühl.

Tuesday, January 15, 2008

Ein Versprechen

Die russische "Nowaja Gazeta" hat einen Bericht herausgebracht, der als Drehbuch für ein Drama fungieren könnte, so viel Trauer, Enttäuschung und bittere Realität verbirgt er.

Die Geschichte fängt mit einem achtjährigen Jungen mit dem Namen Dima an. Man brachte ihn 2005 in ein Klinik- Zentrum für Hämatologie, Onkologie und Immunologie, welches sich auf Kinder spezialisiert. Dima hatte Leukämie und musste schnell eine komplizierte Rückenmark-Transplantation über sich ergehen lassen. In der Klinik äußerte er seinen sehnlichsten Wunsch, den russischen Präsidenten zu treffen und mit ihm Pfannkuchen zu essen. Dieser Wunsch wurde Realität. Putin kam und Dima und der Präsident aßen zusammen Pfannkuchen. Das ganze Treffen verlief unter der Beobachtung der Medien. Doch bei dem Treffen allein sollte es nicht bleiben. Das medizinische Personal nutzte die Gelegenheit, um dem Präsidenten von den Problemen zu berichten: Das Zentrum für Hämatologie, Onkologie und Immunologie habe kein eigenes Gebäude, das sie sie aber unbedingt bräuchten, um immer mehr Kinder operieren zu können. Es fehle an Medikamenten und Personal.

Am 8. August 2005 versprach Putin den Fachkräften Hilfe. Ein paar Tage nach dem gemeinsamen Teetrinken des Präsidenten mit dem kranken Kind berichteten die Zeitungen, dass man die Entscheidung getroffen hat, ein klinisches Forschungszentrum der Hämatologie, Onkologie und Immunologie für Kinder zu bauen. Dessen Finanzierung sollte aus dem Staatsbudget erfolgen und das Projekt in das nationale Programm "Gesundheit" aufgenommen werden, -ein Programm für den Bau von 15 medizinischen Forschungszentren in unterschiedlichen Städten Russlands. Für diesen Zweck wurden im Jahre 2006 32 Milliarden Rubel und 2007 28,8 Milliarden Rubel eingeplant.

Laut einer Internet-Seite der Regierung wurde bereits im Frühjahr 2006 mit dem Bau von 8 solcher Zentren, darunter dem Zentrum für Hämatologie, Onkologie und Immunologie in Moskau, begonnen. Nun sind fast zwei Jahre vergangen. Auf dem Gelände, wo das neue Gebäude stehen sollte, gibt es lediglich einen Zaun und eine alte Frau als Aufpasserin. Laut Gesundheitsministerium wurde die ganze Summe, also fast 38 Millionen Euro, auf das Konto des Projekt- Initiators, des Föderalen klinischen Forschungszentrums der Hämatologie, Onkologie und Immunologie für Kinder innerhalb der letzten zwei Jahre überwiesen. Anhand der Finanzbücher des Zentrums wurden im Jahre 2006 1,2 Millionen für das Projekt ausgegeben. Da man aber auf dem Gelände nicht mal angefangen hat, zu graben, stellt sich die Frage: Wofür wurde das Geld verwendet? Für den Zaun und die Aufpasserin? Übrigens, der Zaun steht, laut der Meinung in der Nähe wohnenden Menschen, schon drei Jahre. Bleibt also die alte Frau.

Die Stellvertreterin des Chefarztes Tatjana Sergeewa erklärte, dass das Geld für das Projekt verwendet wurde. Genauer gesagt für dessen Planung. In 2007 wurde ebenso Geld ausgegeben für die Planung des Projektes. Wie viel für das Projekt im Jahre 2007 ausgegeben wurde, ist nicht bekannt. Man kann aber sicher davon ausgehen, dass die "Planung" in 2007 nicht weniger gekostet hat, als 2006. Auch muss man bedenken, dass die Aufpasserin bezahlt und der Zaun eventuell gestrichen werden müssen. Das könnte auch ein paar Millionen Euro kosten... .

Wie viel kostet eigentlich die Errichtung eines solchen Zentrums? Nun, das medizinische Zentrum für Onkologie im St. Petersburg hat 18 Millionen gekostet. -12 Etagen, moderne Technik usw. . Hier sprechen wir von 38 Millionen, aber wahrscheinlich wird diese Summe laut Tatjana Sergeewa nicht reichen. Wir werden sehen. Der Bau sollte 2008 beginnen. Hoffentlich werden neben der teueren "Planung" nicht der Zaun und die Aufpasserin vergessen... .

Übrigens: Dima starb im September 2007 an starker Blutung in der Lunge in einer Klinik in Israel.

Monday, January 14, 2008

Demokratie mit Skepsis

Es gibt in Russland die verbreitete These, dass Russen nach demokratischen Wertvorstellungen nicht "erziehbar" sind. Viele sprechen sogar von der "Renaissance des Traditionalismus"- einem Weg der Selbstfindung, der unabhängig ist von dem, was der Westen vorlebt und vorschreibt. Diese Meinung wird von der Regierung und vielen regierungsnahen Ideologen stark unterstützt. Sogar ein neuer Begriff macht die Runde: "Souveräne Demokratie". Also eine "Demokratie" mit einem souveränen Staat. Nach dem Motto: zuerst der souveräne Staat und dann, wenn noch etwas Raum bleibt, ein bißchen Demokratie. Und solange die Mächtigen souverän sind, muss die Demokratie eben warten. Das ist aber für die Russen kein Problem, die Mächtigen in der Sowjetunion haben den Alliierten schon damals die demokratische Flagge vor die Nase gehalten, aber daheim die Menschenrechte ignoriert. Also wieder nichts Neues... .

Und dennoch: Laut der Meinung des Abteilungsleiters für "Analyse des Massenbewusstseins" im Institut für Soziologie RAN Wladimir Petuhow, haben Befragungen ergeben, dass Russen den demokratischen Werten wie Meinungsfreiheit, Bewegungsfreiheit, Wahlfreiheit, Unternehmensfreiheit, gegenüber positiv eingestellt sind, jedoch die russische Version der Umsetzung dieser Werte, wie sie nach der Perestroika stattfand, ablehnen. Die Idee der Demokratie finden Russen gut, ihre Umsetzung in Russland sehen sie aber mit grosser Skepsis. Daher ist das Vertrauen der Menschen in demokratische Institutionen (Parlament, Parteien, Gerichte), die, nach gängiger Meinung, dem Allgemeinwohl dienen und den harten Kapitalismus zugunsten sozialer Gerechtigkeit abfedern sollen, sehr gering- geringer als in staatliche Institutionen der Regierung.

43% der Bevölkerung ist laut Befragungen des Instituts der Meinung, dass Russland heute genauso weit von der Demokratie entfernt ist, wie zu Zeiten der Sowjetunion!

Das geringe Vertrauen in demokratische Institutionen beeinflusst auch das Interesse der Russen an den Wahlen. Zwar konnte man während der letzten Parlamentswahlen im Dezember hohe Wahlbeteiligung beobachten, laut Petuhow hatte sie aber eher damit zu tun, dass 70% der Russen in den Wahlen lediglich ein wichtiges Instrument für die Legitimation der Regierung sehen. Mit anderen Worten: der Russe geht wählen, weil er sich daran gewöhnt hat und weil er die Wahl als ein "bürgerliches Muss" betrachtet. Und nur ein Viertel der Befragten gehen wählen, um eine bestimmte Partei oder einen bestimmten Kandidaten zu unterstützen.

Das Leben und die Politik existieren im russischen Bewusstsein als zwei getrennte Sachen. Laut Petuhow stellt heute die Unterhaltungsindustrie eine ernst zu nehmende Konkurrenz für die Politik dar. Die Aufmerksamkeit der Bevölkerung wird stark abgelenkt. Deswegen verschwinden oft die Grenzen zwischen Politik und Showbusiness und Politiker werden zu Unterhaltungsmenschen, die gezielt eine bestimmte Zielgruppe ansprechen.

Allgemein lassen sich zwei grosse Menschengruppen feststellen: Zum einen gibt es die Traditionalisten - also Menschen, die im Vater Staat den Aufpasser sehen und an ihn appellieren, wenn es um Lösungen von Problemen geht. Nach ihrer Meinung soll der Staat alles regeln. Ihre Identität hängt unmittelbar mit der Identität des Staates zusammen. Zum anderen ist eine Generation von Menschen entstanden, die selbst aktiv sind und vom Staat nur die Schaffung von geeigneten Rahmenbedingungen erwarten, ihn aber möglichst passiv sehen wollen. Es sind Menschen, die sich an individuellen Zielen orientieren und für die Selbstverwirklichung einen grossen Wert hat. Sie brauchen keinen Schutz vom Vater Staat, jedoch faire Regeln und die Möglichkeit zu arbeiten und Geld zu verdienen.

Laut Petuhow ist die neu entstehende Mittelschicht stark konformistisch eingestellt, mit politischer Apathie und moralischen Relativismus, sowie der Überzeugung, dass Moral und Erfolg im modernen Russland zwei miteinander nicht vereinbare Sachen sind.

Vor diesem Hintergrund wird uns klar, warum es die Opposition in Russland sehr schwer hat. Ihr wichtigstes Ziel ist es, Vertrauen der Menschen zu gewinnen. Vertrauen, welches in den letzten 17 Jahren scheinbar größtenteils verloren gegangen ist.

Monday, January 7, 2008

Russland in der Öl- und Gasfalle

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Nach Ansicht vieler Experten hat die Wirtschaft Russlands im letzten Jahr einen Wendepunkt überschritten. Die mit der Öl- und Gasförderung im Zusammenhang stehende Macht wird sich, vorausgesetzt es gibt keine weiteren Anstiege des Ölpreises um weitere 100%, ab diesem Winter schmälern. Damit wären Zeiten in denen Russland einfach mal den Hahn zudrehen konnte vorbei.

"Warum?", könnte man erwidern. "Der Ölpreis hat erst in letzter Woche die 100$ Marke überschritten, und der Gaspreis ist an diesen fest gebunden!".

Das Problem erkennt man, wenn man betrachtet wie sich der starke Export des Öls, Gases und anderer Rohstoffe auf andere Wirtschaftssektoren insbesondere den verarbeitenden Sektor auswirkt. Durch die hohen Rohstoffexporte steigt der Rubel. Das macht russische Waren auf dem Markt teuerer und umgekehrt importierte Produkte aus dem Ausland billiger. Ein ähnliches Problem durchlaufen gerade Deutsche Unternehmen im Zusammenhang mit dem starken Euro.

An sich sind die hohen Erlöse aus dem Rohstoffverbrauch kein Problem für eine Landeswirtschaft. Ein Problem entsteht erst dadurch, dass diese Erlöse nicht für die Förderung der heimischen Produktions- und Verarbeitungsstätten eingesetzt werden. Das aus dem Ausland kommende Geld wird im Endeffekt für den Konsum aufgebraucht. Die Waren kommen, aber aufgrund der eben schwächelnden Produktion, zu einem sehr großen Teil aus dem Ausland.

Diese Zusammenhänge werden von den Zahlen zur russischen Außenhandelsbilanz bestätigt. Wie die Zahlen von Rosstat (siehe Graphik) zeigen, wuchsen die Russlands Exporte bis zum Jahr 2006 zusammen mit dem Ölpreis. Das zeigt, dass unter den russischen Exporten Öl bzw. Gas die Hauptrolle spielen.



Die Importe sind auch gewachsen und zwar mit ähnlicher relativer Stärke wie die Exporte. Importiert werden aber zum größten Teil Fertigprodukte. Das Wachstum der Importe zeigt also, dass mit der Zeit ein immer größerer Anteil an Produkten in Russland aus dem Ausland kommt. Das bestätigt die Behauptung, dass es nur ungenügende Investitionen in den verarbeitenden Sektor Russlands gibt.

In diesen Betrachtung habe ich noch zwei Faktoren außer Acht gelassen, die sich zusätzlich negativ auf das verarbeitende Gewerbe auswirken. Der Erste ist die alltägliche Korruption.

Der Zweite Faktor ist die Politik der Monopolisierung. Diese bedeutet, dass es neuerdings heißt, die effektivste Form für Unternehmen in Russland sei das Monopol. Dort würde alles unter staatlicher Kontrolle ablaufen und das Volk deshalb nicht betrogen. Die Geschichte hat schon so oft gezeigt, dass Monopole immer Quellen von Korruption, Ineffektivität und Mißwirtschaft sind, dass man diese "offizielle" Erklärung getrost bei Seite lassen kann. Warum versucht man aber wirklich Monopole einzurichten?

Die Antwort liegt auf der Hand. Ein Monopol ist einfach zu kontrollieren. Es ist viel einfacher das Monopol auf Diamanten zu haben, wie zum Beispiel Alrosa das Unternehmen von Alexej Kudrin, aktuell Finanzminister. (Übrigens Eine längere Liste mit den Personen im Staatsapparat mit deren Monopolen findet man hier auf Seite 14 ). So können alle Personen mit hohen Ämter gleich große Mengen Geld kontrollieren. Und zufälligerweise sind es alle gute ehemalige Freunde und Vertraute Putins.

Und was für ein Vermögen da zusammenkommt, lässt sogar Gates blaß aussehen (er musste für seine Milliarden doch etwas länger schuften). Putin hat nach mehreren übereinstimmenden Berichten (hier einige taz , Welt ) ein Vermögen von über 40 Mrd US$ in weniger als 8 Jahren anhäufen können, Obergrenze könnte erheblich höher liegen. Es gibt meiner Meinung nach allen Grund diese Berichte ernst zu nehmen. Allein die Existenz des Unternehmens Gunvor, des größten russischen Öltransportunternehmens mit Sitz in der Schweiz, einem Umsatz von über 30 Mrd aber ohne website ist von vielen Quellen bestätigt.

Was bedeutet diese Entwicklung für die Wirtschaft Russlands. Die rohstofffördernden Wirtschaftszweige, der sogennante primäre Wirtschaftssektor, werden mit den Rohstoffpreisen wachsen. Der sekundäre Sektor, verarbeitende Industrie, bleibt dabei auf der Strecke. Rohstoffe werden aber nicht immer da sein. Und die Preise für die Rohstoffe werden nicht immer im gleichen Maße steigen, wie sie es in der jüngsten Vergangenheit getan haben. Damit ist der primäre Sektor kein langfristiges oder verlässliches Standbein einer modernen Volkswirtschaft. Der sekundäre Sektor ist dagegen ein substanzieller Faktor, der unabhängig von den Rohstoffvorkommen ist.

Im letzten Jahr wurden nun klar was für Folgen das auf Russlands Wirtschaft hat und noch im größeren Maße haben wird. Laut den Daten über die ersten 10 Monate 2007 (Seite 64) im Vergleich zum gleichen Zeitraum 2006 ist zwar der Export um 12,7% auf 280,4 Mrd$ gewachsen, gleichzeitig sind aber die Importe noch viel schneller um 36,3% auf 175,5 Mrd$ gewachsen. Damit ist die Außenhandelsbilanz trotz eines steigenden Ölpreises gesunken und zwar um 12,7%. Die absoluten Zahlen sollte man mit dem BIP Russland vergleichen, es liegt bei ca. 1000 Mrd.$ (2006).

Wenn sich diese Entwicklung so weiter fortsetzt wird sich die Außenhandelsbilanz recht schnell verkleinern. Nicht weil der Export kleiner wird, sondern weil die Importe steigen. Der Grund hierfür sind die steigenden Weltmarktpreise. Diese steigen aufgrund der hohen Nachfrage der Schwellenländer, wie China, Indien usw. Gesehen hat man es in diesem Jahr an den stark gestiegenen Lebensmittelpreisen in der ganzen Welt.

Die große Außenhandelsbilanz ist aber gerade der Faktor der dem aktuellen politischen System Russlands seine "Stabilität" verleiht. Da das aus dem Export zur Verfügung stehende Geld letztendlich zum Kauf von gefertigten Waren zur Verfügung steht. Sobald nun die Außenhandelsbilanz negativ oder auch nur klein würde, müsste es zu größerer Unzufriedenheit in der Bevölkerung kommen. Und im Kreml müsste man sich die Frage stellen, wohin man die weniger üppig vorhandenen Gelder steckt.

So wird sich Russland schon in naher Zukuunft noch weniger Lieferausfälle in Gas oder Öl leisten können. Ein Beispiel: Im Dezember konnte man beobachten, wie Putin nach Minsk fliegt, um dort nach dem er nicht einmal persönnlich von Lukaschenko am Flughafen empfangen wurde, Weißrussland einen Kredit über 1,5 Mrd $ zu gewähren. Das wurde in Russland als ein deutliches Zeichen von Schwäche empfunden.

Vor diesem Hintergrund der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung Russlands wird vielleicht klar, warum Putin nicht unbedingt eine dritte Amtszeit anstrebt.

Wie sollte sich da Deutschland wohl am besten verhalten? Darauf habe ich noch keine Antwort parat, ihr vielleicht.